Im Gespräch mit dem ehemaligen Profi-Langläufer Tobias Angerer und Nachwuchstalent Florian Knopf über Höhen und Tiefen einer Sportkarriere.
Der eine hat eine unglaublich erfolgreiche Karriere als Weltklasse-Skilangläufer hinter sich: Tobias Angerer, 43, zweifacher Gesamtweltcup-Sieger im Skilanglauf, Gewinner der Tour-de-Ski und von vier Olympia-Medaillen.
Der andere ist auf dem Weg zum Profi-Langläufer: Florian Knopf, 21, vielversprechende Platzierungen in der Junioren-Weltmeisterschaft, gerade hat er seine erste Wintersaison im Herrennationalteam Skilanglauf des Deutschen Skiverbands beendet.
Beide haben ihre Wurzeln im bayerischen Chiemgau, beide machten ihre sportlichen Anfänge dort, vor der Haustür, im lokalen Verein. Mit ihrem Talent schafften sie die Aufnahme in den Jugend-Auswahlkader des regionalen Skiverbands und dann den Sprung ins Nationalteam des Deutschen Skiverbands.
Was so schön linear klingt, entspricht in Wirklichkeit einem Auf und Ab wie in einer anspruchsvollen Langlaufloipe: Der Wettbewerb ist hart, Talent allein ist kein Erfolgsgarant, mit Leistungsschwankungen ist immer zu rechnen. Mal läuft es und mal nicht. Es gibt viele Parameter, die nicht zu beeinflussen sind: Wetterbedingungen, Material und Tagesform machen oft die entscheidenden Sekunden zwischen Sieg und Niederlage aus. Da bedarf es neben Talent noch ein paar mehr Attribute, um sich immer wieder zurückzukämpfen, weiterzuarbeiten am Traum des Profi-Sportlers. Offensichtlich gilt auch in dieser Branche: Man ist nie fertig.
Wir haben mit Tobias Angerer und Florian Knopf darüber gesprochen, was eine Profi-Karriere ausmacht und wie es gelingt, sich immer wieder neu zu erfinden.
Tobias Angerer: Als ich 2014 meine aktive Sportkarriere beendet habe, gründeten wir bei uns im Chiemgau-Inngau ein Jugendteam mit 25 15- und 16-jährigen talentierten Sportlern mit der Idee, eine Brücke vom Schüler- zum Seniorenbereich zu schlagen. Nach meiner aktiven Zeit ist mir nämlich erst bewusst geworden, dass wir in den letzten 20 Jahren ziemlich wenige Sportler herausgebracht haben, obwohl wir mit über 400 im Schülercup aktiven Schülern die besten Bedingungen hatten – danach brechen alle weg. In diesem neuen Team war dann so ein 15-Jähriger aus Bernau, Florian Knopf, bei dem man sofort gemerkt hat: Der will! Florian hat mich von Beginn an sehr stark an mich selbst erinnert. Er hat diesen Spaß, diese Leidenschaft mitgebracht, aber auch das Glänzen in den Augen. Das, was man braucht, um weiterzukommen. Er war sehr wissbegierig, und durch seine kontinuierlichen Fortschritte und Erfolge hat sich gezeigt, was da für ein Talent ist. Aber wichtiger ist noch, wie man mit diesem Talent umgeht. Was Florian auszeichnet, ist, dass er sich immer weiterentwickeln will. Und das muss man auch, Stillstand ist Rückschritt: Es ändert sich alles, ob Technik oder Trainingsinhalte. Da muss man mitgehen, aber auch seinen eigenen Weg finden.
So lernte ich Florian kennen und schätzen. All die Jahre habe ich seinen Weg verfolgt, vom Jugendteam in die Stützpunktmannschaft. Er war einer der ersten Sportler, bei denen diese neu geschaffene Brücke funktioniert hat: Letztes Jahr der Erfolg bei der Junioren-WM in Lahti, die Bronzemedaille in der Staffel, der 8. Platz über 30 Kilometer – das war für die ganze Region schön, zu sehen, dass da einer auf dem Sprung ist. Und seit Mai 2019 ist er bei mir in meiner Agentur ToBeASport unter Vertrag, wo ich ihn berate und unterstütze.
Und nebenbei war es natürlich eine tolle Fügung, dass Robert Klauser, der selbst langlaufbegeistert ist, mit infomax jetzt nicht nur den Skiverband Chiemgau unterstützt, sondern auch als Kopfsponsor von Florian Knopf auftritt. Das ist eine tolle Geschichte.
Florian Knopf: Glaube und Begeisterung. Über den Spaß und die Begeisterung bin ich ja überhaupt erst zum Skilanglauf gekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ich es mal in die Nationalmannschaft schaffe. Das hat als Kind alles klein angefangen, da war mein Chiemgaucup-Gesamtsieg in der S13 ein Riesenerfolg. Bei meiner ersten Bayerischen Meisterschaft habe ich mir vorgenommen in die Top Ten zu laufen. Dann war ich Vierter – das war für mich natürlich der Wahnsinn! Beim ersten Deutschen Schülercup hatte ich Platz 15 bis 20 angepeilt und war dann sogar Zehnter! So hat sich das entwickelt, und es war eine glückliche Fügung mit Tobi und dem Jugendteam. Ich habe einfach weitergemacht, und das hat sich gelohnt. Meine Einstellung hat sich dadurch nie geändert: Die Begeisterung ist nach wie vor ganz elementar. Sie hilft mir immer wieder, mich zu motivieren und zu fokussieren. Ohne Spaß und Begeisterung schafft man es nicht, so weit zu gehen.
Und der Glaube ist auch wichtig: Dass man immer an sich glaubt, auch in schwierigen Phasen den Kopf nicht hängen lässt und sich das auch traut vorzustellen, was auf einen zukommen könnte. Das alles macht es aus, dass es nicht nur wie ein Traum klingt, sondern auch einer ist.
Tobias Angerer: Begeisterung, Leidenschaft, das trifft es. Ich würde noch Ausdauer ergänzen, immer ein großes Ziel vor Augen zu haben.
Florian Knopf: Grundsätzlich gibt es bei mir das Wort Druck nicht. Ich mache mir höchstens selber Druck, indem ich mir Ziele setze, den Erwartungen entsprechend, wenn auch nichts Utopisches. Dieser Druck motiviert mich und treibt mich an, wenn ich weiß, das Ziel ist realistisch und ich kann es erreichen. Druck, der von den Medien erzeugt wird, versuche ich auszublenden – bisher habe ich aber ehrlicherweise noch keinen großen Druck von außen empfunden.
Tobias Angerer: Stimmt, den meisten Druck macht man sich selbst, weil man Erwartungen an sich hat und der Ehrgeiz, der innere Antrieb da sind. Wenn öffentlicher Druck dazukommt, weil jeder diese Medaille erwartet, kann es schon einmal zu viel werden. Ein Mittelweg ist gut. Eine gewisse Anspannung braucht man vor einem Wettkampf, denn dann bist du konzentriert und fokussiert, dann kannst du deine Leistung abrufen. Ich habe mir oft zu viel Stress gemacht, dann funktioniert nichts mehr, man wird den Erwartungen nicht mehr gerecht. Also musst du einen Schritt zurückgehen, das Ganze analysieren, wieder nach vorne schauen und dir selber vertrauen. So wird es am Ende gut sein. Du kannst halt nur deine eigene Leistung beeinflussen: Wenn andere besser sind, ist das zu akzeptieren. Ich hab gelernt, den Zwang von außen nicht an mich heranzulassen und ganz bei mir zu bleiben.
Florian Knopf: Klar hat man Erwartungen, und wenn es dann nicht läuft wie gewünscht, ist es kurzzeitig ganz schön hart und tut weh. Aber das Wichtigste ist, dass man sich nicht zu lange einen Kopf deswegen macht. Das sind ein, zwei Stunden direkt nach dem Wettkampf, in denen ich mich ärgere und unzufrieden bin. Dann schaue ich wieder nach vorne und überlege: „Wie komme ich da wieder hin, wo ich gern sein will?“
2019 hatte ich beim Wechsel von den Schülern zu den Herren eine schwierigere Phase. Es war einfach so viel Neues in dem Jahr. Seit August lief es in Training und Regeneration nicht rund, bei den Lehrgängen habe ich mich nicht gut gefühlt. Die Jungen drückten von unten, und ich war verkrampft, weil ich im Wettkampf gegen die Älteren im ersten Jahr gut bestehen wollte. Da kam ich häufig enttäuscht heim. Gleich am nächsten Tag habe ich beschlossen, mich bis zum nächsten Wettkampf da wieder hinzuarbeiten. Das ist aber komplett danebengegangen. Ich habe eine Pause eingelegt, mein Selbstbewusstsein war erst einmal weg. Das habe ich mir dann über den Herbst mühsam wieder erarbeitet. Ende November wurde noch mal viel trainiert und ich dachte „Jetzt bin ich wieder der Alte.“ Gleich der erste Wettkampf war wieder eine Niederlage, eine richtige Klatsche. Das hat mir dann das Selbstbewusstsein wieder komplett genommen. Von da an plante ich schrittweise von Woche zu Woche, von Wettkampf zu Wettkampf, setzte mir neue, leichtere Ziele. Ich habe daran geglaubt, dass es wird schon wieder werden wird, das Talent kann ja nicht einfach weg sein. Aber woran lag das Tief? Zu wenig habe ich in all der Zeit nicht gemacht, ich war weder krank noch verletzt. Es kann eigentlich nur zu viel gewesen sein. Ich war im Training mit den Älteren auch nie zu schnell unterwegs, hatte mich immer gut im Griff.
Zum Glück geht es jetzt wieder aufwärts. Das war so wichtig, da ist viel Druck von mir abgefallen. Der Sport bereitet mir wieder Freude, und ich weiß, dass mein Weg richtig war und sich jetzt auszahlt. Ich hoffe, dass es so weitergeht. Seit Ende Juli 2019 verspüre ich jetzt endlich wieder ein zufriedenes Gefühl und bin mit mir im Reinen. Und so wird aus der Niederlage wieder eine Höhe. Wie man mit diesem Auf und Ab umgeht? Man muss die Höhen genießen und sich immer dessen bewusst sein, dass der Erfolg bald wieder vorbei sein kann. In den letzten Jahren im Jugendkader hatte ich viele Höhen und wenig Tiefen, die Konkurrenz war schon groß, aber noch nicht so extrem wie jetzt. Deswegen war mir schon klar, dass irgendwann einmal ein Tief kommen wird. Auch da gilt wieder: Glaube und Begeisterung trägt einen durch Höhen und Tiefen.
Tobias Angerer: Diese Welle, diesen Flow, musst du einfach ausnutzen. Nichts anders oder besonders machen, sondern laufen lassen. Jetzt ist der Erfolg erst mal da und bleibt auch eine Zeitlang, mindestens bis zum Saisonende! Du hast letztes Jahr wirklich eine Renaissance erlebt, Florian. Einiges ist falsch gelaufen, war zu viel, du hast dich zu stark unter Druck gesetzt. Und dann hast du dich wieder auf das Wesentliche besinnt, nämlich dass es Spaß, Leidenschaft und Begeisterung sind, die dich so weit gebracht haben. Plus diese Arbeit, tagtäglich, du hast einfach weitergemacht. So hast du ein Comeback hingelegt und dich eine Stufe weiter entwickelt. Das nimmst du mit.
Niederlagen haben so einen negativen Touch. Dabei muss man Niederlage erst einmal interpretieren! Wenn ich alles gegeben habe und mit mir selbst im Reinen bin, dann ist ein verlorener Wettkampf doch keine Niederlage! Dann waren halt einfach zehn oder 20 andere Sportler besser. Aber ich habe alles getan! Wenn ich nicht mein Bestes gegeben habe, in meiner Komfortzone geblieben bin oder während eines Wettkampfs keine Entscheidung getroffen habe, dann ist es eine Niederlage. Dass ich zu einem Großereignis wie 2001 bei der WM nicht mitgenommen wurde, obwohl ich mich indirekt qualifiziert hatte, hat sich für mich zunächst auch wie eine Niederlage angefühlt. Ich wurde wieder ausgeladen, weil der Sportliche Leiter mir sagte „Du bist nicht gut genug.“ Dann willst du es grad extra, dann willst du es erst recht. So habe ich Niederlagen immer als Geschenk verstanden, damit ich beim nächsten Mal noch besser bin. Du kannst hinfallen, aber musst auch wieder aufstehen. Wenn ich meine Karriere als Grafik interpretiere, ist sie wie eine Langlaufloipe: Da geht es rauf und runter. Aber wenn du die richtigen Schlüsse ziehst, warum es einmal nicht gut gelaufen ist, dich jedes Mal wieder neu erfindest und neu aufstellst, wirst du gestärkt – und besser – zurückkommen. Das ist die Chance einer Niederlage. Was auch wichtig ist: Vertrauenspersonen, Familie. Da kann ich abschalten, Energie und Kraft tanken. Das stärkt einen.
Tobias Angerer: Ja, und das wird im Unternehmertum nicht anders sein. Wenn du einmal einen Auftrag nicht bekommst, wirst du dich im ersten Moment ärgern. Dann aber wirst du dir überlegen, wie es beim nächsten Mal klappen könnte, und Maßnahmen einleiten. Da gibt es viele Parallelen zwischen Unternehmertum und Spitzensport.
infomax: Genau, da gilt das Gleiche: Wenn wir eine ordentliche Präsentation hingelegt, alles gegeben, alles optimal vorbereitet haben, sind wir mit uns im Reinen, auch wenn wir den Auftrag nicht bekommen haben. Diese Parallelen finden wir übrigens auch deshalb spannend, weil wir in den letzten Monaten eine Wertewelt für infomax aufgebaut haben. Ein Wert, den wir für uns identifiziert haben, ist das Thema „sportlich“ – nicht nur im direkten, sondern auch im übertragenen Sinn: Wir setzen uns Ziele, wir haben Ausdauer, wollen Leistung bringen. Und ein Rückschlag ist nur ein Anlauf für den nächsten Versuch.
Tobias Angerer: Durchwegs positiv. Ich habe komplett die Seiten gewechselt, vom Sportler ins Sportmarketing. Ich kann auf eine 20-jährige Erfahrung im Leistungssport zurückblicken und kann mich in jeden Sportler hineinversetzen. Das ist mein Alleinstellungsmerkmal, das ich bewusst offensiv kommuniziere: Dass ich den Sportlern Erfahrungen und Netzwerke mitgeben kann, damit sie sich weiterentwickeln und Weltspitze werden.
Mein Praxisbezug nützt mir auch im Umgang mit Unternehmen und potenziellen Sponsoren.
Ich habe es im Studium gesehen – und jetzt sind wir wieder bei diesen Parallelen, hier mit der Drucksituation: Wenn du Schlussläufer bei den Olympischen Spielen warst, das ist Druck. Aber nicht, wenn du im Studium eine Klausur schreiben musst. Da relativiert sich vieles.
Ich bin glücklich mit meiner Situation, bin umgeben von jungen, motivierten und vor allem extrem positiven Persönlichkeiten. Von Sportlern, jungen oder erfahrenen, erfolgreichen, solchen, die gerade auf dem Sprung sind: Ich kann mich jeden Tag mit Menschen austauschen, das ist vielfältig, und das ist mir wichtig. Ich selbst bin von Haus aus ein positiver Charakter. Wenn irgendwo zehn Prozent positiv sind, sehe ich diese zehn und nicht die 90 fehlenden Prozent. Das versuche ich, meinen Sportlern mitzugeben, und ich lebe es vor, damit sie bewusst eine zusätzliche Motivation erfahren. Ich merke, dass da was zurückkommt. Das ist dann einfach schön zu sehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Portrait:
Florian Knopf, Jahrgang 1999, startete in der Saison 2019/2020 erstmals im Nationalteam der deutschen Skilangläufer und brennt vor Ehrgeiz, allen so richtig davonzulaufen.
Tobias Angerer, Jahrgang 1977, berät nach seiner aktiven Karriere junge Sporttalente und bringt als Vizepräsident des Deutschen Skiverbands (DSV) seinen Erfahrungsschatz aus vielen Jahren im Profi-Sport ein.
Dieser Artikel erschien in der fünften Ausgabe des Magazins gråd extra mit dem Schwerpunkt „Renaissance“.
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Zur Spotify-Playlist „Renaissance“ zum Magazin steuerten Tobias und Florian die Songs „Hoch“ (Tim Bendzko), „On my way“ (Alan Walker) und „One step closer“ (Linkin Park) bei.
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