Skift kennen vermutlich viele Akteure im Tourismus als eines der führenden Newsportale und Marktforschungsunternehmen mit globalem Anspruch. Neben diesen Informationsdiensten veranstaltet Skift auch Konferenzen, die größte davon ist das Skift Global Forum, das in diesem Jahr von 17. bis 19. September 2024 in New York stattgefunden hat.
Als langjähriger Konsument der Skift-Dienste machten mich Agenda und Speaker Line-up neugierig und ich startete die Reise „über den Teich“ – und wurde nicht enttäuscht. Hier standen überwiegend Themen nahe an der touristischen Wertschöpfung auf dem Programm; die Diskussionen waren eher zielorientiert und performancegetrieben und damit ein erfrischender, inspirierender Gegenentwurf zu so manchen Veranstaltungen, die man im Destinationsumfeld im deutschsprachigen Raum so kennt.
Die Bandbreite an Themen reichte von Marktanalysen zur globalen Nachfrageentwicklung über Travel Tech-Themen, Vor-Ort-Erlebnisse hin zur kritischen Auseinandersetzung mit der Akzeptanz von (Massen-)Tourismus und Nachhaltigkeitsthemen.
Gleich am ersten Abend stand ein Kamingespräch (ohne Kamin) mit Glenn Fogel, CEO von Booking, auf dem Programm: „A Long-Term View on Travel“. Als zentrale Erkenntnisse habe ich mitgenommen:
- Booking macht bereits heute massive Buchungen im Bereich Short-Term-Rentals (Ferienwohnungen, Ferienhäuser etc.) und erreicht hier bereits zwei Drittel der Roomnights von Airbnb (wohlgemerkt zusätzlich zum ohnehin starken Hotelgeschäft)
- Booking wächst im STR-Bereich in den letzten 12 von 13 Quartalen schneller als Airbnb
- Das Gesamtinventar liegt bei 7,8 Mio. STR-Objekten weltweit, Wachstumshemmnis ist hier mangelndes Inventar in USA
- Glenn Fogel sieht Booking als „tiny player“ im globalen Travelbusiness. Man habe schließlich nur eine Marktkapitalisierung von 140 Mrd. Dollar in einem 3 Billionen Dollar Markt.
- Die Rolle von KI sieht er vor allem im Bereich der Service-Unterstützung der Kunden und für eine bessere CX, Technik alleine ist nie Differenzierungsmerkmal: „Who cares…?“
Der Mittwoch startete gleich mit dem Mega-Thema „Vor-Ort-Erlebnisse“ (The Evolving Role of Experiences in Travel) mit einem Panel mit Vertretern von Peek, TUI Musement und McKinsey. Was ich hier mitgenommen habe:
- Der globale Markt für Erlebnisse liegt bei ca. 1 Mrd. Dollar.
- Das führte naturgemäß zu einem sehr großen Wachstum an Angeboten in diesem Bereich; so hat sich beispielsweise die Anzahl an Eifelturm-Führungen von 2019 bis heute von 250 auf 750 verdreifacht. Das führt natürlich zu großen Herausforderungen, wie man diese große Anzahl an Möglichkeiten kundengerecht zugänglich macht: “How do you navigate through that?”
- Während Hotelbuchungen in der Regel 30 bis 60 Tage vor Anreise passieren, werden Erlebnisse sehr kurzfristig gebucht, 70% sogar erst vor Ort.
- 40% der Erlebnisbuchungen erfolgen für den gleichen oder den nächsten Tag.
- Der ganze Bereich Erlebnisbuchung ist bisher noch sehr wenig digitalisiert; 50% der Buchung von Erlebnissen passiert immer noch offline.
- Laut TUI Musement ist der NPS bei Kunden, die auch Erlebnisse gebucht haben, um 15 bis 20% höher im Vergleich zur klassischen Pauschalreise.
- Nur ca. 10% der Erlebnisbuchungen kommen von OTAs
Spannend war auch die darauf folgende Talkrunde zur Relevanz von (Sport-)Großveranstaltungen für Destinationen mit Vertretern aus Las Vegas. 65% der Besucher von Las Vegas kommen wegen eines Events. Der Superbowl in diesem Jahr hat alleine 1 Mrd. Dollar Wertschöpfung in Las Vegas ausgelöst, ähnliche Effekte werden auch vom Formel 1-Grand-Prix erwartet.
Die Session „Shaping Travel’s Next Era Through Deeper Partnerships“ mit Ling Hai, President for Asia Pacific, Europe, Middle East and Africa bei Mastercard brachte für mich als wesentlichen Impuls mit, dass eine Segmentierung von Kundengruppen nach deren (Konsum-)Verhalten (z.B. auf Basis von Zahlungsdaten) wesentlich valider ist als eine Segmentierung nach Demographie, wie sie in der Regel in unseren Projekten anzutreffen ist.
Als wesentliche aktuelle Handlungsfelder für Mastercard identifizierte Ling Hai das große Thema „Cyber-Security“ und Customer Insights, also „alles mit Daten“: Loyality-Programme und Competitor Intelligence.
Als „Risiko“ für Mastercard als Marke identifizierte er „Super-Apps“ wie Apple Pay oder WeChat, da damit die Markenhoheit verloren geht.
Greg Klassen beleuchtete, warum „der Tourismus eine neue PR-Agentur braucht“. Dabei beleuchtete er die aktuellen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Overtourism, mangelnder Tourismusakzeptanz und negativer Kommunikation. Aus seiner Sicht führen drei Aspekte aus diesem Dilemma:
- die Anerkenntnis, dass es kein unbegrenztes Wachstum gibt,
- wir sollten aufhören, permanent das beeindruckende Wachstum im Tourismus zu kommunizieren und
- die strategische Koordination aller touristischen Akteure, um auch die „guten Geschichten“ zu erzählen, die der Tourismus schreibt.
„The Future of Multi-Modal Travel“ stand im Mittelpunkt einer Fragerunde mit Aaron Gowell von SilverRail und Eliot Hamlisch von Amtrak. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den Bahnangeboten in Nordamerika und in Europa ist. In Nordamerika ist und bleibt der Bahnsektor eine Nische, zumal die Infrastruktur zwischen Europa und USA nicht vergleichbar ist: wurden in den USA in den letzten 50 Jahren nur 120 Mrd. Dollar in die Bahninfrastruktur investiert, waren das in Europa alleine in den letzten 20 Jahren 1 Billion Dollar (Deutschland kann da wohl nicht gemeint sein 😉).
Spannend wird wohl werden, wenn Uber in das intermodale Geschäft einsteigt, gerade testet Uber in UK eine intermodale Lösung.
Insgesamt explodiert in Europa jedoch aktuell die Nachfrage nach Bahnreisen, was gerade für Städtedestinationen sehr großes Potenzial bietet.
Zum Abschluss des ersten Tages gab es noch ein spannendes und für mich überraschendes Interview mit Brian Chesky, dem Co-Founder und CEO von Airbnb.
Zum einen stellte er klar, dass aus seiner Sicht der CEO der chief product officer eines Unternehmens sein muss und auch die kleinsten Details seines Produkts kennen muss: „Great leaders are in the details. That’s what founder mode is.“
Sehr überraschend war auch seine Einschätzung, wann Künstliche Intelligenz wirklich etwas zur Wertschöpfung bei Airbnb beitragen wird: das wird seiner Ansicht nach 10 bis 20 Jahre (!) dauern. Das heißt nicht, dass Airbnb sich nicht auch heute intensiv mit den Potenzialen von KI auseinandersetzt (v.a. im Bezug auf die Möglichkeiten in der Automatisierung des Kundenservice), stellt aber einen deutlichen und realitätsnahen Kontrapunkt zum lautstarken Beratergetöse dar, das wir häufig im Deutschlandtourismus erleben.
Insgesamt ist es wie so häufig bei neuen Technologien oder Ansätzen: kurzfristig werden sie überschätzt, langfristig unterschätzt.
Eine ähnliche Meinung äußerte am Tag drauf übrigens auch Ariane Gorin, CEO von Expedia: sie stellt fest, dass es einfach dauert, bis Menschen ihr Such- und Reiseverhalten ändern.
Einleuchtend fand ich seine Einteilung von KI-Anwendungen in drei Ebenen/Schichten: die erste Ebene sind die Chips (siehe, was gerade bei Nvidia passiert), die zweite Ebene sind die Modelle (das ist das, was wir gerade bei OpenAI, Google Gemini etc. sehen) und die dritte Ebene sind die konkreten Software-Anwendungen/Apps. Und von einer Inwertsetzung in der dritten Ebene sind wir der Ansicht von Brian Chesky nach noch etwas entfernt, hier schlummert das größte Potenzial für Nutzen und Skalierung.
Was das Geschäftsmodell von Airbnb angeht, kündigte er an, dass Airbnb sein Geschäftsfeld deutlich erweitern werde („Not Just Short-Term Rentals, Not Just Travel“).
Schon heute seien 17% der bei Airbnb gebuchten Aufenthalte länger als 30 Tage; so sieht er ein großes Wachstumspotenzial bei Aufenthalten von 30 bis 90 Tagen, z.B. im Zusammenhang mit Workation o.ä.
Der abschließende Donnerstag startete mit einem Blick auf die aktuellen Marktforschungsdaten von Skift, The State of Travel 2024. Dabei ging Pranavi Agarwal von Skift Research der Frage nach, wie „rezessionssicher“ der Tourismus als Branche ist: ihre These war, dass Reisen inzwischen auf der Maslowschen Bedürfnispyramide bei den Grundbedürfnissen angekommen ist. Dabei ist der Tourismus vielleicht noch nicht „rezessionssicher“ auf inzwischen zumindest „rezessions-widerstandfähig“.
Ebenfalls hängen geblieben ist eine interessante Session mit Zita Cobb aus Fogo Island, einer Insel in Neufundland. Sie stellte ein Modell vor, das zum einen die Tourismusakzeptanz in ihrer Gemeinde stärkt und gleichzeitig sicherstellt, dass die Wertschöpfung möglichst kleinräumig vor Ort bleibt und nicht an externe Finanzinvestoren abwandert. Unter anderem wurde auf Fogo Island ein „Economic Nutrition Score“ eingeführt, ähnlich wie man das von Lebensmitteln kennt. Nur, dass dort nicht Zucker, Fette und andere Inhaltsstoffe aufgeführt werden, sondern aufgezeigt wird, wohin das Geld geht, das ich als Gast bezahle. Sehr inspirierend und dennoch absolut praxisnah!
Alles in allem waren das großartige drei Tage, in denen ich zahlreiche Impulse und Gedanken mitnehmen konnte. Es tat gut, touristische Themen im Fokus der Wertschöpfung zu beleuchten und einmal komplett andere Blickwinkel auf die ein oder andere Fragestellung kennenzulernen. Das ein oder andere wird sich auch in unserer Arbeit bei infomax wiederfinden.